Patentstrategien überwinden Widersprüche

Patentstrategien überwinden Widersprüche

Warum die Anzahl der Patente nicht das Maß aller Dinge sein sollte und wie die Lösung von Widersprüchen systematisch Erfindungshöhe generiert.

Die Fähigkeit Innovationen zu generieren stellt eine Schlüsselkompetenz und damit entscheidende Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen dar [vgl. 1, S. 2]. Dabei ist die Anzahl der Patente in Unternehmen ein weitverbreitetes und anerkanntes Maß, um die eigene Innovationskraft zu messen. Ein wirtschaftlich agierendes Unternehmen kann es sich jedoch nicht leisten unbegrenzte Ressourcen für Patente einzusetzen. Denn die Anmeldung und Aufrechterhaltung von Patenten ist sehr kostenintensiv. Unternehmen stehen mit ihrem Anspruch nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit zu generieren vor einer Schlüsselherausforderung, um ihr Geschäft abzusichern. Der nachfolgende Widerspruch beschreibt den zwingenden logischen Zusammenhang, mit dem sich Unternehmen dann konfrontiert sehen (siehe Abb. 1): Folgt man der Logik einer Vielzahl von Unternehmen, so sollten diese einerseits eine hohe Anzahl an Patenten besitzen, um das bestehende und zukünftige Geschäft abzusichern. Andererseits steht dem gegenüber, dass der Aufwand für die Aufrechterhaltung eines Patentportfolios dabei möglichst gering gehalten werden sollte, um freie Ressourcen für alle weiteren unternehmerischen Aktivitäten zu generieren. Die Anzahl der Patente müsste hierfür gesenkt werden. Unternehmer stehen vor einem nur scheinbar unauflöslichen Widerspruch. Durch die Überwindung der bestehenden Logik und Hinterfragung der Messgröße „Anzahl der eigenen Patente“ entstehen neue Perspektiven für die Entwicklung neuer Freiheitsgrade im strategischen Umgang mit Patenten.

Abb. 1: Widerspruch für den Einsatz von Patenten

Die Einschätzung der Innovationsfähigkeit auf der ausschließlichen Grundlage von einer Patentanzahl ist fahrlässig. Dabei würden unbewusst Annahmen getroffen werden, die nicht den realen Marktgegebenheiten entsprechen. [vgl. 1, S. 2] Denn Patente schützen nicht grundsätzlich vor Imitation der USPs, auf welche ein Unternehmen mit seinem Produkt Anspruch erhebt. [vgl. 1, S. 3] Sie sind bestenfalls ein Verbietungsrecht für den Schutz einer technischen Lösung [vgl. 1, S. 3], jedoch nicht zwingend die Absicherung einer wirtschaftlich relevanten Innovation und der Monopolstellung eines Produktes [ebd.]. Empirische Studien belegen, dass über verschiedenste Branchen wie dem Maschinen- und Apparatebau, sowie der Elektro- und Verfahrenstechnik, im Durchschnitt nur weniger als 10% der bestehenden Patente einen entscheidenden Wertbeitrag liefern. [vgl. S. 3] Daher bildet die Anzahl der Patente als alleinige Messgröße keinen hinreichenden Indikator für die Beurteilung der Innovationskraft eines Unternehmens. [vgl. 1, S. 3] Viel relevanter ist die „Verbotswirkung des IP-Portfolios“. [3, S. 60] In welcher Hinsicht kann sich die Verbotswirkung ausprägen, um in den frühen Phasen der Entstehung von Intellectual Property ein „wertorientiertes Patent-Design“ [2, S. 350] zu fokussieren? Hierzu bietet die WiderspruchsOrientierte InnovationsStrategie – kurz WOIS – die methodische Unterstützung.

Die Patentierung des Wirksystems bietet strategisches Schutzpotenzial.

WOIS analysiert bestehende Produkte nach Potentialen durch die Anwendung von Denkmodellen. Mit dem Systemmodell, welches sich in zehn Teilsysteme aufschlüsselt, erfahren Innovatoren dabei gleichzeitig kreative Inspiration. Werden im Rahmen des Innovationsprozesses Widersprüche gelöst, so erreichen Innovatoren durch die Entwicklung neuer Freiheitsgrade nahezu systematisch Erfindungshöhe. [vgl. 2, S. 353] Damit ist die Wahrscheinlichkeit ebenso groß, dass auf das neu gestaltete System (Produkt) ein Patentanspruch erhoben werden kann. In diesem Zusammenhang steht das Wirksystem eines Produktes oder einer Dienstleistung in der WOIS Systemmodell-Betrachtung in unmittelbarer Interaktion mit dem Wirkpartner und so ist der direkte Kontakt mit dem Bezugssystem des Kunden hergestellt. Das Kern-USP des Produktangebotes, sprich der tatsächliche Kundennutzen, konzentriert sich bei der Innovationsentwicklung im Wirksystem. „Beispiele solcher Kundenutzen können sein: Flexibilität in der Anwendung des Produkts, niedrige Betriebskosten, hohe Produktivität.“ [2, S.352] Ergo lässt sich aus dem Zusammenhang zwischen Wirksystem und Kundennutzen eine gezielte Anforderung an F&E Aktivitäten und den strategischen Einsatz von Patenten ableiten. Die Innovationssuche sollte sich auf das Wirksystem eines Produktes konzentrieren, um anschließend möglichst umfassende Patentansprüche auf das Wirksystem erheben zu können. Wurde ein Patent für die Ausprägung eines Wirksystems in Form von konkretem Kundennutzen gewährt und wurden damit eine Vielzahl möglicher technischer Lösungen hierzu in den Patentanspruch eingeschlossen, so ist der entscheidende Schritt zur Absicherung der USPs gegenüber Wettbewerbern am Markt getan. [vgl. 2, S. 352f.]

Mit diesem Anspruch geht einher, dass die Patentabteilung im Unternehmen ein tiefes Verständnis für den Innovationsprozess entwickelt hat. Aber damit nicht genug. Die Patentabteilung bzw. bei kleineren Unternehmungen die Personen die für Patentanmeldungen verantwortlich sind, müssen organisatorisch nahe der Innovationsaktivitäten angebunden oder sogar direkt involviert sein.

Die Struktur einer Patentabteilung im Ökosystem „Unternehmen“ ist entscheidend.

Abb. 2: WOIS-Systemmodell einer Patentabteilung

Eine Patentabteilung mit dem strategischen Anspruch das Geschäft abzusichern muss mit denjenigen Kollegen im Unternehmen interagieren, die zukünftige USPs der Unternehmung gestalten. Wie diese Abteilung für das beschriebene Maß an Interaktion in das Ökosystem „Unternehmung“ eingebettet sein könnte, lässt sich ebenfalls mit dem WOIS Systemmodell darstellen. (siehe Abb. 2)

Angefangen am Wirksystem sollten resultierende Patente den Kundennutzen vor Nachahmung durch Wettbewerber schützen und damit das Geschäft absichern. Die Patentabteilung muss hierzu Informationen und Ansprüche aus dem Prozess der Innovationsfindung aufnehmen. Alle weiteren Aktivitäten werden dann, dem Ansatz eines „synthetischen Patent-Designs“ folgend, von strategischen Ansprüchen und dem Fokus auf funktionale Themenfelder gesteuert, die somit eine Einordnung und Priorisierung möglicher technischer Lösungen erlauben. [vgl. 2, S. 353] Mit dem Antrieb Innovationen am Markt durchzusetzen werden diese Ambitionen in konkrete Patentstrategien formuliert und in Patentbeschreibungen übertragen. Patentstrategien, die nicht auf den Schutz technischer Lösungen abzielen, sondern den Wettbewerb davon abhalten Angebote mit identischem Kundennutzen zu verbreiten. [vgl. 4, S. 20] Gestützt werden diese Aktivitäten durch die Erfahrung und Kompetenz der Patentanwälte. Diese reduzieren ihre Aktivitäten nicht nur auf die Übersetzung der technischen Ansprüche der Entwickler in Patentschriften, sondern schaffen systematisch einen strategischen Abgleich, um den Innovationsprozess anzuleiten. Die Patentabteilung hüllt sich in dem Image einer Organisation, die wirtschaftlichen Mehrwert generiert und die Zukunft absichert. Denn durch strategisch wirksame Patente lässt sich am Markt eine Exklusivität in der Wahrnehmung der Kunden erzeugen. [vgl. 3, S.59] „Je größer die Exklusivität […], desto größer der wahrgenommene Kundennutzen – und desto größer die Bereitschaft der Kunden, Premiumpreise zu zahlen.“ [3, S. 60] Die Abteilung erarbeitet sich dabei gezielt eine Position, die es ihr erlaubt, in internen Innovationsprozessen mitzuwirken und bei Bedarf Impulse für Weiterentwicklungen durch externe Partner einzuholen. Die besonders an das Management und Aufsichtsratsgremien ausgewiesenen Kennzahlen sind nicht „Assetgetrieben“ [1, S.3] und gehen über die Anzahl der Patente hinaus. Relevante Kennzahlen beinhalten weiterreichende Patentinformationen, die ein umfassendes Bild zur Einschätzung der Innovationskraft einer Unternehmung vermitteln. [vgl. ebd.] Das Reproduktionsvermögen der Patentabteilung spiegelt sich in der ständigen Weiterentwicklung der Patentstrategie und der Umsetzung von neugewonnener Erfahrung in weiteren Innovationsbestrebungen wieder.

Damit ist mit Hilfe des WOIS Systemmodells eine umfassende Struktur einer strategisch agierenden Patentabteilung skizziert.

Eine Patentabteilung auf Obersystem-Etappe kennzeichnet sich durch Vernetzung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine strategische Patentabteilung nicht nur Anträge für eine Patentanmeldung entgegennimmt, sondern sich in einem Diskurs mit den Ansprüchen der Erfinder bzw. Entwickler auseinandersetzt, um das Potenzial für eine Absicherung von konkretem Kundennutzen zu ermitteln. Eine Patentabteilung verantwortet bis zu einem gewissen Grad, ob die Erfinder von bahnbrechenden technischen Neuheiten auch zu Innovatoren erhoben werden können. Die Zielsetzung einer Patentstrategie ist es nicht, Erfinder für ihre Errungenschaften auszuzeichnen. Der Kundennutzen soll vor Nachahmung geschützt und damit exklusiv am Markt positioniert werden! [vgl. 3, S.59] Diese Umstellung kommt in vielen Unternehmen einem Paradigmenwechsel gleich [vgl. 3, S.61] und erfordert die gezielte Einleitung einer Bewusstseinsbildung. Hierfür muss eine Patentabteilung auf Obersystem-Etappe ausgeprägt und etabliert werden, also eine Organisation geschaffen werden, welche tief verwoben mit Innovationsbestrebungen ist, um den Entwicklungsprozess patent-strategisch zu begleiten und interaktiv zu unterstützen. [vgl. ebd.] Dabei schafft nicht zuletzt auch die Digitalisierung neue Freiheitsgrade, um die Vernetzung von Patentabteilungen mit ihrer unternehmerischen Umgebung durch neue Kommunikationsmittel, Austauschplattformen und Analysewerkzeuge zu steigern und auf diese Weise das Geschäft durch strategisch platzierte und formulierte Patente nachhaltig abzusichern.

TAKE AWAY

  • Die Anzahl der Patente spiegelt nicht unmittelbar die Innovationsleistung von Unternehmen wieder. Unternehmen, die sich bei ihrem Anspruch auf Innovation ausschließlich auf diese Kennzahlen berufen, legen irrtümlicherweise Annahmen zugrunde, die nicht den Marktgegebenheiten entsprechen.
  • Die Auflösung von Widersprüchen hilft bei der systematischen Entwicklung von Erfindungshöhe. Konzentrieren sich diese Innovationsbemühungen auf das Wirksystem eines Produktes, so bietet ein darauf bezogener Patentanspruch das Potential den Kundennutzen vor Wettbewerb zu schützen.
  • Eine Patentabteilung, die Mitverantwortung für die systematische Entwicklung und Durchsetzung von Innovationen am Markt trägt bildet ein Obersystem. Sie ist organisatorisch hoch vernetzt und interaktiv in Innovationsprozesse eingebunden, um Patentstrategien durch- und umzusetzen.

Weitere Informationen zur systematischen Entwicklung von Innovation erhalten Sie hier.
Darüberhinaus erfahren Sie mehr zur Ausgestaltung von Patentstrategien unter https://www.wurzer-kollegen.de/de

Autoren: Gunther Herr, André Nijmeh, Alexander J. Wurzer

Quellen:
[1] Wurzer, A. J.; Wieselhuber, N.: Informationsbedarf im Aufsichtsrat zur Bewertung der Innovationsleistung des Unternehmens in: BOARD; Bundesanzeiger Verlag; 20.10.2014
[2] Wurzer, A. J.; Köllner, M.: Wertorientiertes Patent-Design in: Mitteilungen der deutschen Patentanwälte; Carl Heymanns Verlag; 31.08.2015
[3] Wurzer, A. J.; Schäffner, K.: Patente Küchenmaschine in: Harvard Business Manager; manager magazin new media GmbH; 21.07.2015
[4] Wurzer, A. J.: Geistiges Eigentum reloaded in: Innovationsmanager; F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen GmbH; 30.09.2015

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